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AW: Amoklauf in Winnenden

Verfasst: Do 19. Mär 2009, 17:29
von Isabell
also, was ich hier jetzt alles zu dem Thema gelesen habe, hat mich sehr zum Nachdenken angeregt, und ich finde es gut, dass hier so ehrlich und offen geäußert wird, was einem durch den Kopf geht dazu. Das bezieht sich besonders auf die "krassen" Äusserungen. Mich hat mal über Jahre ein Nachbar gemobbt, schikaniert, bestalkt, terrorisiert und auch noch mein 4jähriges Kind reingezogen. Klar habe ich mir vorgestellt, dass ich ihn abknalle! Keine Frage: Mobbing ist schlimm - sehr belastend - und da mein Sohn mittlerweile in der Schule ist, kriege ich auh mit, wie grausam speziell Kinder und Jugendliche in ihrem Psychoterror sein können, mit dem sie schwache Mitschüler fertigzumachen versuchen - und das ja, siehe Tim, auch schaffen.
Aber dass der Tim sich nicht seinen Eltern anvertrauen konnte und die das durch ein liebevolles Umfeld zuhause nicht ausgleichen konnten, das finde ich schlimm. "Soll er halt mal ne Therapie machen..." - wenn das alles an elterlicher Hilfe war (die Kohle für die Therapiesitzungen bereitstellen) ist das schon echt arm.
Mein Sohn ist sechs, ein ganz normaler Junge. Er steht auf Star Wars, Batman, Indiana Jones, die Fantastischen Vier und spielt natürlich auch mit Plastiklaserschwert und Platzpatronenknarre. Seit Winnenden werde ich als Mutter doof angeglotzt, wenn er auf dem Spielplatz "bambam" ruft. Als ob ich assozial wäre. Dabei ist es normal, dass Kinder in dem Alter sowas spielen. Selbst ich habe in den Siebzigern mit meinen Nachbarn Cowboys und Indianer gespielt mit Platikgewehr und selbstgebautem Thomahawk. Es liegt nicht an irgendwelchen Kriegsspielsachen, nicht an Ballerspielen, nicht an Heavy Metal - da werden nur Schuldige gesucht, weil die Leute, die da mit dem Finger draufzeigen, von ihrer eigenen Schuld ablenken wollen. Es ist die Gesellschaft an sich, es sind Eltern, die weggucken, anstatt sich um ihren Nachwuchs zu kümmern und es sind die Medien - allen voran das Fernsehen - die unsere Kinder abnorm werden lassen. Wie schon gesagt wurde: man braucht sich nur anzusehen, was für mediale "Vorbilder" unsere Kids haben, und dann muss man sich nicht mehr wundern, dass Kinder von ihren Klassenkameraden so gemobbt werden, dass sie durchdrehen.
Hätten Tims Eltern aber auch mehr darauf geachtet, dass er nicht durch sein Hobby, mit dem andere Kinder nicht so wirklich viel anfangen können, zum Aussenseiter wird, wäre er wohl auch nicht so gemobbt worden.
Was jetzt alles so berichtet und angedichtet wird...ich weiss nicht...ich glaube gar nichts mehr. Die Wahrheit werden wir nie erfahren, denn Tim hatte nie jemanden zum Reden und jetzt ist es eh zu spät.
Isa

AW: Amoklauf in Winnenden

Verfasst: Do 19. Mär 2009, 18:00
von Viva los Tioz
ich denke das internet spielt einen sehr großen faktor dabei auch wenn wir hier schreiben haben wir doch noch eine reale welt... freund/freundin - ehemann/ehefrau kinder/freunde usw. Jedoch gibt es menschen die ihre freunde auch nur noch im inet haben... ich denke so kann kein normales sozialverhalten erlernt bzw. gelebt werden.

AW: Amoklauf in Winnenden

Verfasst: Do 19. Mär 2009, 19:30
von brainstormer
Leider ohne Quelle, aber passend:
Guten Abend, meine Damen und Herren, Sie sehen die Abendnachrichten.

Es hat einen Amoklauf an einer Schule gegeben. Schrecklich, schrecklich. Wir zeigen Ihnen nun grausame Bilder.

Im Anschluss daran eine Live-Schaltung zu unserem Reporter vor Ort. Wie furchtbar war es denn, Herr Kollege? "Oh, es war schrecklich. Hier ein paar weinende Mitschüler, die ich vor die Kamera gezerrt habe. Und hier spreche ich mit geschockten Eltern. Und jetzt ein Strasseninterview mit verschiedenen Anwohnern, die nichts zum Fall sagen können, aber alle sehr betroffen sind."

Nun ein Besuch unseres Reporters bei einem Lehrer, an dessen Schule vor einigen Jahren ein Amoklauf geschah: "Unser TV-Team hat ihm die schrecklichen Bilder von heute gezeigt. Er war ganz schockiert, dass er diese schlimmen Ereignisse sehen musste. Hier seine Tränen in Grossaufnahme." Oh, wir alle fühlen mit ihm. Schlimm, was er da durchleben musste, während zufällig unser TV-Team bei ihm war. "Danke, das wird ihm bestimmt helfen."

Jetzt ein kurzes Interview mit einem Experten. Er ist seriös, weil er Hemd und Krawatte trägt und weisse Haare hat. Und weil wir Ihnen sagen, dass er ein Experte ist. Wir haben ihn in der Redaktion auf Kurzwahl, denn er kann knallig formulieren und lebt so richtig auf, wenn wir mit unserer Kamera vorbeikommen.

Herr Experte, was wissen Sie über den Täter? "Eigentlich nichts." Aber haben Sie eine Vermutung über sein Motiv? "Ja, selbstverständlich ist die Jugendkultur schuld. Der Täter hat mit grosser Sicherheit Computerspiele auf seinem PC. Ich fordere schon seit langem, dass Jugendliche wieder Halma spielen, so wie ich damals. Überhaupt, diese vorlaute Jugend von heute. Was die für Frisuren haben, und dann noch diese schreckliche Musik. Die wollen uns alle umbringen, glauben Sie mir." Danke, Herr Experte, das klingt nach einer nachvollziehbaren Erklärung für die Tat, da muss ich als Journalist nicht mehr nachhaken. "Gern! Und bis zum nächsten Mal!"

Politiker aller Fraktionen haben ihre Verhandlungen über weitere Kürzungen im Bildungswesen unterbrochen, um ihre persönliche, ehrlich empfundene Betroffenheit über die Tat zum Ausdruck zu bringen. Morgen werden bundesweit die Flaggen auf Halbmast stehen. Übermorgen sollen dann im Parlament die unterbrochenen Verhandlungen fortgesetzt werden, um die bereits beschlossenen Mittelkürzungen für den schulpsycholgischen Dienst zu verabschieden.

Ein in der Presse stets zu kurz gekommmener Regional-Innenminister wiederholte heute seine Forderung, die Jugendkultur zu verbieten. Er werde seinen schon mehrfach abgeschmetterten Gesetzesentwurf zur Überwachung und Umerziehung Jugendlicher erneut einbringen. Dass es sich hierbei um ein zynisches Wahlkampfmanöver handeln könnte, bezeichnete er als bösartige Unterstellung.

Unsere Redaktion hat in der Zwischenzeit mit Hilfe ihres Recherchewerkzeuges "Google" weitere exklusive Informationen über den Täter auf sogenannten "Websites" in einem "Internet" gefunden. Hier sein Profil aus einem sogenannten "sozialen Netzwerk". Hier die Profile seiner Opfer. Hier die Profile seiner Freunde, die unsere Redaktion nach der Sendung aufsuchen will. Hier Blog-Beiträge und Forenkommentare des Täters, aus denen unser andere seriös erscheinende Experte nun für Sie live zwischen den Zeilen interpretieren wird.

Hier private Fotos vom Täter. Sehen sie nur: Er posiert mit seiner Waffe! Wie ein Actionheld auf einem Kinoplakat! Und wir haben hier ein Bekennervideo von ihm gefunden, dass wir nun ausstrahlen. Ekelhaft, dieses Video, aber es ist unsere journalistische Pflicht, Ihnen das zu zeigen.

Hier Bilder früherer Amokläufer, die sich ebenfalls in martialischen Selbstportraits in Szene gesetzt haben. Man könnte ja fast glauben, Amokläufer spekulieren darauf, dass diese Bilder gross in der Presse veröffentlicht werden, aber darüber wollen wir hier nicht weiter nachdenken. Stattdessen ein Bericht über ein "Twitter", wo Menschen, die überwiegend nicht einmal Journalisten sind, substanzlose Gerüchte austauschen und es sogar wagen, unsere Berichterstattung zu kritisieren. Dieser Pöbel im "Internet" - die haben ja keine Ahnung, was Qualitätsjournalismus ist.

Und zum Abschluss schalten wir noch einmal um zu unserem Kollegen vor Ort: "Der Trauergottesdienst war sehr ergreifend. Für die Menschen hier wird nach dem heutigen Tag nichts mehr so sein, wie es vorher war. Wir fahren jetzt zum Elternhaus des Täters, das wir zusammen mit den TV-Teams der anderen Sender die nächsten Tage belagern wollen. Und damit zurück ins Funkhaus." Danke für diese Eindrücke.

Sollten Sie sich zu Hause nun Gedanken über Ihre oder unsere Verantwortung machen, können wir Sie beruhigen - der Täter war anders als wir, deshalb kann die Gesellschaft keinerlei Mitschuld an dieser schrecklichen Tat treffen. Auch unsere Berichterstattung hat sicherlich keinen Einfluss auf spätere Nachahmer.

Das, verehrte Zuschauer, waren die Abendnachrichten.

Im Anschluss zeigen wir als Sondersendung eine Gesprächsrunde mit fünf alten Herren, die über Jugendkultur diskutieren werden. Danach ein Bericht über Computerspiele und dieses "Internet", den wir bereits beim letzten und vorletzten Amoklauf gezeigt haben.

Die im TV-Programm ursprünglich angekündigte Dokumentation über die Bildungsmisere und die Diskussionsrunde über journalistische Ethik fallen aus.

AW: Amoklauf in Winnenden

Verfasst: Do 19. Mär 2009, 20:06
von sciroccogls
:applause:

@ Brainstormer:
Das mit der Waffe zuhause im Schrank war für den Täter sicher "praktisch".
Aber wie du schon sagst, wenn man einen Amoklauf machen will, kann man sich eine Waffe besorgen.
(So habe ich es eigentlich mit meinem Post auch gemeint...)

AW: Amoklauf in Winnenden

Verfasst: Fr 20. Mär 2009, 15:18
von nomo
hab den Text mal hierhin zurückverfolgt. Der Autor spricht mir aus der Seele. Weiterer interessanter Kommentar vom Autor:
Hier standen mal über 150 Kommentare und sehr viele Trackbacks. Die meisten waren zustimmend (herzlichen Dank), aber irgendwann kippte der Tonfall und es sprudelte nur noch vor Häme über Politik, Journalisten und eigentlich alle, außer uns selbst natürlich. Die Kommentare sind jetzt gelöscht und das Formular geschlossen.

Die Berichterstattung über Winnenden war für mich eine große Enttäuschung, gerade über die, die sich selbst als “Qualitätsmedien” bezeichnen. Sie waren nicht zuverlässiger Informationsfilter, sondern Akteure mit eigenen Motiven und machten sich dabei freiwillig zu Komplizen der “ich werde es der Welt zeigen!”-Logik eines Amokläufers.

Wieso wird dem Irrlicht Christian Pfeiffer immer noch eine Bühne ohne Widerspruch geboten? Warum darf ein Politiker durchschaubar scheinheilig “Killerspiele” als Begründung anbringen? Ein Journalist sollte, er muss hier Contra geben.

Es hat mit dem Nahost-Korrespondenten André Marty nur ein Journalist kommentiert: Es gibt längst einen Kodex für den Umgang mit so einem Ereignis.

Eine weitere Reaktion kam von einem Vater einer Schülerin aus Winnenden, der in der Nähe der Schule wohnt und betroffene Familien kennt. Er ist wütend über Amoktouristen und über die Journalistenmeute, die jetzt seine Heimatstadt belagert und sich dort danebenbenimmt. Für ihn ist eine heile Welt zusammengebrochen, er ist fassungslos, aber die Kameras halten gnadenlos drauf. Er erinnert an die Bitte der Schüler: “Lasst uns in Ruhe trauern”.

Hoffentlich wird es in einigen Redaktionen eine neue Diskussion über journalistische Ethik geben, so wie dies einst nach der Geiselnahme von Gladbeck nötig war.

AW: Amoklauf in Winnenden

Verfasst: So 22. Mär 2009, 09:32
von nomo
Interessant wie ausländische Medien die Ereignisse sehen.
What nonsense. Did he go around his town battering people over the head with a copy of Counter Strike? No. He used a gun, one of several kept illegally by his father. Guns kill people.
There's a Boondocks strip where the characters figure out that the media blame videogames first on the basis that it's easier and less risky to go after a bunch of computer programmers than it is to go after people who have a lot of firearms.
Counter Strike has been around since 1999 and has been played by millions of individuals. Now how many of those players have gone on murderous rages? Pretty flimsy correlation if you ask me, but for some reason the media loves to bring video games up as the punching bag after these tragedies despite no evidence to support their assertions.

Frankly, in 50 years I think these insinuations are going to look just as ridiculous as the insinuations in the 1950s that rock and roll was a moral danger to the youth.

AW: Amoklauf in Winnenden

Verfasst: So 22. Mär 2009, 12:40
von Tempest
Die Presse ist überall auf Planet Erde eine gefährliche Institution, die von ganz anderen Vorhaben getrieben und motiviert wird, als der Wahrheit auf die Spur zu kommen, oder gar über diese zu berichten. Das liegt wohl auch ein wenig am Volk, welches die Produkte eben dieser Presse (ab)kauft, Stichwort Sensation, Unfall, Feuer, Raubmord, sowas zieht mehr Aufmerksamkeit als ein bericht über mal was Positives in der Gesellschaft :krank:

Tempest

AW: Amoklauf in Winnenden

Verfasst: So 22. Mär 2009, 12:43
von Mr.Burnout
nicht nur eventuell sondern GENAU deshalb. ist ja nicht so dass eine schule ein besonders naheliegender ort ist um ZUFÄLLIGE leute zu erschießen, wenn man zufällige leute erschießen wollte würde man das in einer fußgängerzone, in einem einkaufszentrum oder in einem sontigen ort machen wo zufällige leute sind. und sicherlich ging es auch nicht darum, möglichst unschuldige leute zu erschießen und deshalb kinder in einer schule zu wählen, dann wäre er in einen kindergarten gegangen wenn es möglichst spektakulär sein sollte.

nein, er hat sich bewusst ausgesucht wen er erschießt, seine mitschüler, also MUSS er ein problem mit denen gehabt haben.

und wenn wir als gesellschaft verhindern wollen, dass soetwas in zukunft passiert, dann wir wohl nix anderes übrig bleiben, dass sich diejenigen, die wirklich davon betroffen sind - schüler - überlegen, was sie verändern können, dass niemand ein so hartes problem mit ihnen kriegt, dass er sie erschießen will. was wäre da noch einfacher als mobbing abzuschalten? - ich finde es erschreckend, dass das nur für mich so offensichtlich der grund zu sein scheint


Erstmal sorry fürs späte Antworten, hatte den Tread überlesen...

Natürlich passiert das in der Schule...womit wir eben wieder bei der Verantwortung der Eltern wären.
Auch die Eltern der dissenden/mobbenden Schüler haben hier versagt, sie haben versäumt ihren Sprößlingen den Respekt vor ihren Mitmenschen zu vermitteln.
Das liegt einfach an der Verantwortungslosikeit vieler Eltern heutzutage die ihre Kinder möglichst früh in irgendwelche Aufbewahrungstätten schicken damit beide Elternteile arbeiten gehen können um den Lebensstandard zu erhöhen. Genau dieses war vor etwa 20-30 Jahren noch anders...da war es üblich das ein Elternteil zuhause blieb und sich vornehmlich um die Kinder gekümmert hat.
Kinder zu haben bedeutet eben große Einschränkungen des eigenen Lebensstandards hinnehmen zu müssen, das war schon immer so, nur sind die meisten Eltern heute nicht mehr bereit dieses Opfer zu bringen...das geht dann eben auf Kosten der Kinder denen dann eben die ständige Verfügbarkeit einer Vertrauensperson fehlt.
Alles auf "die Gesellschaft" zu schieben ist ja einfacher....

Gruß
Stefan